die rote katze

leseprobe

die rote katze

Der erste Teil der St. Pauli-Trilogie erschien im März 2004 im Heyne Verlag.
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aus dem ersten Kapitel:

bootsmann auf landgang

Als das Krokodil das Maul aufriss, lehnte sich die dralle Brünette gegen Hansens Schulter und raunte ihm heiser ins Ohr: "Hallo Seemann." Das Krokodil schnappte zu. Heinrich Hansen rückte ein Stück zur Seite, und die Brünette setzte sich neben ihn auf den Seesack. Das Untier erwischte mit den Zähnen den Rockzipfel seines Widersachers.

"O Gott, der arme Kleine!" rief die Frau aus und klammerte sich an Hansens muskulösen Oberarm.

Der clevere Kasperl hob seine Klatsche und verpasste dem Krokodil einen gut gezielten Schlag zwischen die Augen. Das Tier biss ins Leere.

"Bravo!" Die Brünette ließ sich sanft zur Seite fallen.

"Hoppla, schöne Frau!" Hansen warf ihr einen kurzen Blick zu, fand, dass sie eine Zuckerschnute mit Stupsnase hatte, und legte einen Arm um ihre Schultern.

"Na erlauben Sie mal", sagte sie nachlässig.

Mit einem lauten Brüllen nahm das Krokodil Reißaus. Der siegreiche Kasperl stieg in eine imaginäre Höhle und rettete die Prinzessin.

"Ein Pfundskerl", sagte Hansens neue Bekannschaft.

Hansen rückte ein Stück von ihr ab, fasste sie an den Schultern und drehte sie zu sich, um sie zu begutachten.

"Na, wo kommst du denn her?" fragte er grinsend.

"Aus Wunstorf. Und du?"

"Direkt von allen Sieben Meeren."

"Oh!" Sie machte große Augen und legte sie den Zeigefinger an eine Wange: "Wenn du mir jeden Abend von einem Meer erzählst, dann könnten wir eine ganze Woche zusammen fröhlich sein."

Hansen stand auf. Die Menge der Zuschauer, die sich vor dem Kasperltheater auf dem Spielbudenplatz zusammengefunden hatte, zerstreute sich.

Er deutete auf seine Uniform. "Marine", sagte er, "nicht Handelsmarine. Uns zahlen sie nicht so viel Heuer wie den Zivilisten."

Sie biss sich in die Unterlippe und sah jetzt noch mehr nach Zuckerschnute aus: "Ach, nein?"

"Außerdem bin ich gerade mit allen militärischen Ehren entlassen worden, heute am 23. Juli 1903", erklärte Hansen und blinzelte über die Brünette hinweg Richtung Reeperbahn, wo die letzten Strahlen der Abendsonne die zahllosen Fenster der mehrstöckigen Bierpaläste, Cafés und Konzerthäuser vergoldeten.

"Na, herzlichen Glückwunsch. Wieviele Ehren sind das denn so ungefähr?"

Er sah sie freundlich an, verwundert über so viel Hartnäckigkeit: "Für alle Sieben Meere reichen sie nicht aus."

"Vielleicht für den Atlantik und den Pazifik und den Stillen Ozean?"

"Pazifik und Stiller Ozean sind das gleiche, Kindchen."

Sie zog einen Schmollmund: "Also für Pazifik und Atlantik?"

Hansen schüttelte seufzend den Kopf. Sie gefiel ihm schon, diese kleine Dralle. Aber hatte er nicht genug Dummheiten hinter sich mit solchen Frauen, die sich allzu schnell an einen ranschmissen?

"Die Südsee vielleicht?" Die Brünette deutete mit ihrem Schirmchen durch die Passanten hindurch zu Umlauff's Weltmuseum, vor dem ein grimmiger Gorilla Wache hielt.

"Nicht mal die Nordsee, Zuckerschnute."

Sie lächelte, als er sie so nannte, spannte ihren Schirm auf und blickte kokett über seinen mit Spitzen besetzten Rand hinweg: "Die Ostsee ist doch auch ganz hübsch." Als sie sah, dass er auch das für indiskutabel hielt, dachte sie kurz nach und fügte hinzu: "Der Bodensee?"

Hansen musste lachen. "Bestenfalls das Steinhuder Meer."

Sie sprang wütend auf: "Also nein, das ist mir zu pütscherig."

"Tja", sagte Hansen und zuckte bedauernd mit den Schultern, "fürs Pütscherige sind wir wohl beide nicht gemacht."

"Sicherlich nicht", sagte sie, hob die Zuckerschnute, zeigte ihm die kalte Schulter und stolzierte davon, direkt auf einen Herrn in Gehrock und Zylinder zu, der die überlebensgroße Statue einer halbnackten afrikanischen Kriegerin studierte, deren Speer auf Umlauff's Gorilla gerichtet war.

"Wirklich schade", murmelte Hansen, "aber mehr als ahlen Aal hat Steinhude nun mal nicht zu bieten."

Er schulterte seinen Seesack, drehte sich um und machte sich auf den Weg. Was die Zuckerschnute nun mit dem Zylinder anfing, sollte ihm einstweilen egal sein.

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