unter uns [teil 1]

robert brack und virginia doyle
im gespräch über identitäten

Brack: Okay, das Thema steht fest, wer fängt an?

Doyle: Identität? Das wird ein schwieriges Gespräch.

Brack: Warum?

Doyle: Nun ja, in gewisser Weise konkurrieren unsere Identitäten miteinander.

Brack: Weil wir ganz allgemein im gleichen Genre tätig sind?

Doyle: Das auch.

Brack: Ich würde das nicht so sehen. Unsere Werke sind inhaltlich doch meilenweit voneinander entfernt.

Doyle: Das ist nun nicht das Thema, sondern es geht um die Personen, nein falsch: Es geht um fiktive Identitäten.

Brack: Wir beide sind fiktiv?

Doyle: Aber ja. Pseudonyme.

Brack: Ich bin ja wohl näher an der wirklichen Person dran.

Doyle: Ach was, das kann nun wirklich nicht sein. Aber ist das nicht lächerlich, dass wir um die Nähe unseres Schöpfers buhlen?

Brack: Wer entscheidet denn, wer wichtiger ist? Doch wohl er.

Doyle: Nein, diese Identität hat hier nichts verloren. Wir stehen für uns selbst und gleichwertig nebeneinander.

Brack: Wir sitzen.

Doyle: Das ist kleinkariert.

Brack: Gut, beginnen wir also ganz banal: Wer war zuerst da?

Doyle: Das wiederum ist unfair.

Brack: Identität beginnt mit dem Eintritt in die Welt. Die erste kriminalliterarische Publikation aus dem Hause Gangsterbüro kam jedenfalls von mir.

Doyle: Soweit ich weiß, stand auf dem Manuskript, wie es dem Verlag eingereicht wurde, ein anderer Name.

Brack: Der stand auch auf den ersten Kurzgeschichten, die herumgeschickt wurden, an Zeitschriften und so weiter, und die niemand veröffentlichen wollte, weil der Name unbekannt war.

Doyle: Wie ist der Name Brack denn zustande gekommen? In Anlehnung an amerikanische Autorennamen wie Richard Stark würde ich als Krimi-Leserin mal vermuten.

Brack: Nicht ganz falsch. Darüber hinaus funktioniert er in allen wichtigen Sprachen.

Doyle: Dieser Gedanke war ja wohl überflüssig, wenn man bedenkt, dass gerade mal eine Kurzgeschichte von dir bislang ins Englische übersetzt wurde.

Brack: Wart es mal ab. Im übrigen hatte ich immer ein Faible für den Vornamen Robert.

Doyle: Der fliegende Robert ...?

Brack: Wo der Wind ihn hingetragen, ja das weiß kein Mensch zu sagen ... Es fing ja alles mit der polnischen Trilogie an. Und 'brak' heißt auf Polnisch 'fehlt'. Ich bin also gar nicht da. Aber immerhin gibt es in Warschau eine 'Bracka', was so viel wie 'Brack-Straße' bedeutet.

Doyle: Kommen wir mal lieber auf die Tatsachen zu sprechen: Das Pseudonym war ja wohl eine Vorgabe des Lektorats.

Brack: Vorgabe ist falsch ausgedrück. Der Herausgeber der Thriller-Reihe verlangte einen einprägsamen Namen. Den hat er bekommen. Danach meinten dann viele Freunde und Bekannte 'Ronald Gutberlet' würde doch viel aufregender klingen. Vor allem die, die beim Vornamen versehentlich 'n' und 'l' vertauschen und beim Nachnamen das 'b' vergessen und dafür zusätzliche 't's und 'h's einfügen.

Doyle: Seltsamerweise erschien dann eine Erzählung mit dem Titel "Das Fenster zum Fleet", in der Robert Brack auftaucht. Als Autor wird jedoch Gutberlet genannt. Verwirrend.

Brack: Für diese Erzählung, in der ich nicht sehr schmeichelhaft dargestellt werde, lehne ich die Autorenschaft ab. Das ist so eine Art Porträt des Krimischreibers als Trinker von der traurigen Gestalt.

Doyle: Du übertreibst.

Brack: Müssen wir eigentlich die ganze Zeit über mich reden? Was ist mit dem eigenartig anglophilen Namen Virginia Doyle?

robert brack, virginia doyle

Doyle: Es gibt Leute, die behaupten, diese Identität entstand, weil du bei Rowohlt kein Bein mehr auf den Boden bekamst. Die waren gerade dabei, dich auszubooten, weil die Verkaufszahlen nicht mehr stimmten.

Brack: Und sie hatten empfindliche Lücken im Programm, die ausgefüllt werden mussten.

Doyle: Eine eigenartige Initialzündung für einen Eintritt in die literarische Welt, finde ich. Jedenfalls nicht sehr schmeichelhaft für mich.

Brack: Es gibt Situationen, da muss man über seinen Schatten springen. Bei uns gab es empfindliche Lücken auf dem Geschäftskonto zu beklagen.

Doyle: Und da rief der Lektor an und schlug einen historischen Stoff vor?

Brack: Genau. Schreib mal einen Landhaus-Krimi hieß es, so richtig englisch, und am besten unter weiblichem Pseudonym, weil es sich dann besser verkauft.

Doyle: O Gott, ich bin ein Kind inhaltlicher und ökonomischer Lücken, der Spross kalter Berechnungen und kühler Kalkulationen.

Brack: Das Ergebnis kann sich doch sehen lassen. Man merkt deutlich: Es war durchaus Leidenschaft dabei. Zum einen die Begeisterung für die Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts, zum anderen der Spaß an der poetischen Inszenierung über den Roman-Plot hinaus und schließlich die Lust am Kulinarischen.

Doyle: Wie kam der Name denn nun zustande? Da ich noch nicht da war, konnte ich in dieser Hinsicht ja nicht mitreden.

Brack: 'Die schwarze Nonne' sollte ein englisches Buch werden, also lag es nahe, ein englisches Pseudonym zu wählen.

Doyle: Das ist nachvollziehbar. Und da der Roman sich erzähltechnisch an die Sherlock-Holmes-Geschichten anlehnt, mit einem sehr jungen und sehr geheimnisvollen Watson ...

Brack: ... lag der Nachname Doyle nahe.

Doyle: Und Virginia passte einfach gut zu mir.

Brack: Es klang gut, aber es sollte keine Anspielung auf Virginia Woolf sein.

Doyle: Ich bin trotzdem sehr zufrieden damit. Aber warum habt ihr mich so alt gemacht?

Brack: Nun ja ... du solltest in etwa zur gleichen Generation gehören. Immerhin alterst du nicht.

Doyle: Bleibe immer Mitte dreißig?

Brack: Genau.

Doyle: Nun, das ist heutzutage ja kein Alter mehr.

Brack: Eben. Aber dich wesentlich jünger zu machen, wäre mir frech vorgekommen. Sich die Identität einer jungen Frau anzueigenen ...

Doyle: ... hast du doch jetzt mit Lenina getan.

Brack: Ja, aber das war ein literarisches Experiment.

Doyle: Und ich bin kein Experiment?

Brack: Du solltest von Anfang an den Charme einer grande dame ausstrahlen.

Doyle: Spar dir diese zweifelhaften Schmeicheleien. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich für meinen Eintritt in die Welt bei dir bedanken soll.

Brack: Musst du gar nicht. Deine Werke existieren in unserer Wirklichkeit. Also bist du realer als eine Roman-Protagonistin.

Doyle: Vielen Dank, das höre ich nun wiederum gern.

Brack: Nur anfassen kann man dich nicht.

Doyle: Das möchte ich mir auch verbeten haben.


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