unter uns [teil 3]
robert brack und virginia doyle
im gespräch über hamburg und st.pauli
Doyle: Die Hansestadt.
Brack: Sagt man so. Es bedeutet aber nichts.
Doyle: Freie und Hansestadt Hamburg.
Brack: Bedeutet noch weniger.
Doyle: Aber ... einen Moment mal bitte! Sind wir zu diesem Gespräch
nicht als Lokalpatrioten angetreten?
Brack: Du vielleicht. Ich nicht.
Doyle: Das überrascht mich. Dein letztes Buch, meine letzten beiden
Bücher, deine Schwarzen Hefte — alle haben das Thema Hamburg.
Brack: Ist das nicht interessant, dass wir beide mit international
angesiedelten Geschichten begonnen haben und dann bei Hamburg-Krimis gelandet
sind? Dein erstes Buch spielt in England, das zweite in Frankreich und
Spanien, dann Italien und Österreich usw.
Doyle: Nun aber Hamburg. Und ich stelle fest, die Stadt ist ein dankbarer
Schauplatz für historische Kriminalromane. Das Maritime, das Großstädtische,
das Bürgerliche, der wachsende Einfluss der Arbeiterklasse Ende des
19. Jahrhunderts, nicht zu vergessen das berühmteste Hafenviertel
er Welt: St. Pauli, ein Stadtteil mit einer wahrhaft bunt schillernden
Geschichte, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Brack: Ich bin als Autor von europaweit angesiedelten Thrillern angetreten,
Polen, Frankreich, Portugal, Deutschland waren Schauplätze, aber vor
allem ging es um das Thema politische Intrigen im Europa des Umbruchs.
Nun versuche ich, die Geschichten regional zu verankern. Das ändert
nichts an den eigentliche Themen. Im übrigen ist mir das Hanseatische
wie alles, was mit wirtschaftlicher Macht und politischer Einflussnahme
zu tun hat, zutiefst suspekt.
Doyle: Sagtest du nicht, das Hanseatische gäbe es nicht?
Brack: Es ist eine Art Beschwörungsformel. Hanseaten dünken
sich die besseren Bürger.
Doyle: Ist das so?
Brack: Die politische Geschichte der Stadt ist geprägt von der
Einflussnahme bestimmter elitärer Kreise. Die Bürger haben immer
versucht, die unteren Schichten auszugrenzen.
Doyle: Das ist nun vorbei.
Brack: Wirklich?
Doyle: Wie sonst könnten Rechtspopulisten in den Senat kommen?
Brack: Ja eben.
Doyle: Willst du damit sagen, die Strippenzieher haben das lanciert?
Brack: Ich sehe nur, dass die Partei der Großbürger jetzt
das Heft in der Hand hält.
Doyle: Klingt nach Verschwörung.
Brack: Das Wesen der Politik ist die Verschwörung, vor allem in
der Demokratie.
Doyle: Du bist sehr Hamburg-kritisch, mein Lieber.
Brack: Die Stadt hat auch ihre guten Seiten.
Doyle: St. Pauli zum Beispiel.
Brack: Das alte St. Pauli, das du in deiner Trilogie beschreibst. Tatsächlich
hat es nichts mit Hamburg zu tun.
Doyle: Du meinst St. Pauli ist nicht hanseatisch?
Brack: Ganz und gar nicht.
Doyle: Ich gebe dir Recht. Es war eine Vorstadt, dann wurde das Viertel
zu einer Art geduldeten Enklave. Die St. Paulianer haben immer geklagt,
man würde sie links liegen lassen.
Brack: Das Viertel war ein Wildwuchs, den man sich gegönnt hat,
so lange er aus eigener Kraft existieren konnte und Geld abwarf.
Doyle: Bis zu seiner Zerstörung war es mehr. Ein Rummel- und Tummelplatz
für alle Schichten. St. Pauli war groß. Dort wurde investiert.
Brack: Bis die Nazis kamen und aus dem Zentrum des Lasters einen KdF-Spielplatz
gemacht haben.
Doyle: Ja, mit den Nazis fing der Niedergang an. Dann kamen die Bomben.
Und nach dem Krieg ...
Brack: ... war St. Pauli den Hamburgern scheißegal. Sie überließen
es den zwielichtigen Spekulanten.
Doyle: Die Hamburger klingt mir zu pauschal. Wem?
Brack: Den Bürgern. Wer sonst regiert?
Doyle: Die Sozialdemokraten, Arbeiter.
Brack: Es gab einer Arbeiterkultur in Hamburg, ja. Aber wie überall
in Wohlstandsdeutschland wurden aus den einst hungernden Hinterhof-Rebellen
vollgefressene Vorgartenzwerge. Und wie überall auf der Welt haben
die Sozialdemokraten jeden revolutionären Ansatz abgewürgt.
Doyle: Das ist also nicht typisch Hanseatisch.
Brack: Nein, das ist typisch politisch. Wer die Macht hat, hält
sie fest.
Doyle: So gesehen haben unsere lokal angesiedelten Geschichten trotz
ihres scheinbar begrenzten Horizonts eine universelle Aussage.
Brack: Kriminalromane sind dazu da Zweifel zu säen.
Doyle: Und dennoch bestehe ich darauf, jeden Roman auch als Hommage
an den Schauplatz und seine Bewohner zu versehen.
Brack: Das geht in Ordnung, solange man sich nicht von Fassaden blenden
lässt.
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