Die Geschichte eines Hamburger Polizeiskandals

interview mit robert brack
anlässlich der veröffentlichung von
"und das meer gab seine toten wieder"
im juni 2008

Frage: Nun schreibt also auch Robert Brack historische Kriminalromane ...

Robert Brack: Halt! Das ist so nicht richtig! Es handelt sich um einen zeitgeschichtlichen Roman, nicht um einen historischen.

Frage: Wo ist denn der Unterschied?

Robert Brack: Historische Romane dienen der Romantisierung und Verklärung einer Epoche, eines vergangenen Ortes, vielleicht auch von Personen – das ist der triviale Kern historischer Romane, Kriminal oder nicht. Es geht ums Beschwören einer zumeist affirmativ dargestellten Vergangenheit. Das ist hier nicht der Fall. "Und das Meer gab seine Toten wieder" ist der Roman eines Hamburger Polizeiskandals, der sich 1931 zutrug und bis heute nicht wirklich aufgeklärt wurde.

Frage: Müssten historische und zeitgeschichtliche Krimis dann nicht ganz verschieden geschrieben werden?

Robert Brack: Auf jeden Fall. Ein historischer Kriminalroman will die Welt, in der er spielt wieder zum Leben erwecken, möglichst in allen Details. Deshalb statten die Autoren die Romane üppig aus wie Hollywood-Regisseure der 60er Jahre ihre Breitwand-Epen. Dem Authentizitätswahn im Detail fallen dann meistens die Charaktere zum Opfer und architektonische Referate werden wichtiger als psychologisch fundierte Protagonisten. Mein neuer Roman hat einen ganz anderen Ansatz.

Frage: Kurz, knapp und auf dem Boden der Tatsachen.

Robert Brack: Als wär's ein Buch von heute. Wobei es natürlich auch zur Aufgabe des Schriftstellers gehört das gesellschaftliche Umfeld, in dem die Intrige stattfindet, authentisch und atmosphärisch zu beschreiben. Die handelnden Personen – die zum großen Teil ja wirklich gelebt haben – müssen lebendig, aber auch so wahr wie möglich dargestellt werden. Gleiches gilt für den Skandalfall ...

Frage: ... den Doppelselbstmord von zwei angehörigen der Weiblichen Kriminalpolizei auf der Nordseeinsel Pellworm ...

Robert Brack: ... dessen Hintergründe und Details ich in seiner ganzen Komplexität darzustellen versuche. Ich habe ja auch ewig nachgeforscht, das Thema beschäftigt mich seit dem Jahr 2002. Ausgangspunkt waren meine Recherchen zur Geschichte der Hamburger Polizei, die ich aus ganz anderen Gründen angefangen hatte. In mehreren offiziellen Chroniken las ich zwei Sätze, die mich stutzig machten: Am 10. Juli 1931 wurden am Strand von Pellworm die Leichen von zwei Beamtinnen der Weiblichen Kriminalpolizei angeschwemmt ... An diesem ersten Satz – wohlgemerkt in einer von der Polizei selbst publizierten Darstellung gefunden – ist schon ziemlich viel falsch: Es fängt mit dem Datum an, das nicht stimmt. Dann wurden sie nicht angeschwemmt. Schon gar nicht am Strand. Der zweite Satz lautete sinngemäß: Im Zuge der Ermittlungen wurde die Leiterin der WKP Josephine Erkens entlassen, obwohl man ihr keine Schuld am Tod ihrer Mitarbeiterinnen nachweisen konnte. Das klingt sehr eigenartig: Wieso wurde sie entlassen, wenn sie unschuldig war?

Josephine Erkens
Josephine Erkens
Leiterin der Weiblichen Kriminalpolizei Hamburg

Frage: Und es ist Ihnen tatsächlich gelungen, Licht ins Dunkel zu bringen?

Robert Brack: Ich weiß jetzt recht genau, was passiert ist und vermute, dass niemand noch wesentlich mehr herausfinden kann. Aber wer weiß, ob es nicht irgendwo auf einem Dachboden oder in einem Keller oder vergessenen Archivschrank eine Kiste gibt ... Das Zusammensetzen des Puzzles war sehr aufregend. Um diese Spannung, die mich bei meinen eigenen Ermittlungsarbeiten gepackt hatte, den Lesern zu vermitteln, habe ich mich entschlossen, im Roman eine Ermittlerin auftreten zu lassen, die praktisch den gleichen Weg geht wie ich. Nur dass sie die Spur schon sieben Monate nach dem Geschehen aufnimmt, während ich es erst siebzig Jahre später tun konnte.

Frage: Die Hauptfigur Jennifer Stevenson ist eine Kriminalbeamtin aus London, die nach Hamburg kommt, um den Fall aufzuklären. Wieso hat die englische Polizei ein Interesse an dem Fall?

Robert Brack: Nicht die englische Polizei. Miss Stevenson kommt als Abgesandte der International Association of Policewomen nach Hamburg. Frau Erkens war ein hochgeschätztes Mitglied dieser Organisation. Sie hielt Vorträge im Ausland über ihre Pioniertätigkeit – damals waren ja in den westlichen Ländern erst seit wenigen Jahren weibliche Polizistinnen im Einsatz. Dass Frau Erkens entlassen und ihre ganze Abteilung aufgelöst wurde, konnte die engagierten Frauen der IAP nur beunruhigen. Jennifer Stevenson soll für sie die Wahrheit herausfinden.

Frage: Das klingt so, als würde es darum gehen, Frau Erkens frei zu sprechen und die Opfer links liegen zu lassen.

Robert Brack: Nein, keineswegs. Jennifer Stevenson (und also auch mir als Autor) geht es um die Wahrheit. Die beiden Toten von Pellworm – Therese Dopfer und Maria Fischer – sind ebenso Opfer einer Intrige, wie ihre Chefin Frau Erkens. Menschliche Unzulänglichkeiten und aufrührende Beziehungstragödien kommen hinzu. Außerdem eine politische Situation, die sehr explosiv war. Politischer Druck und Feigheit der Verantwortlichen, eiskaltes Kalkül bestimmter Machtgruppen spielten ebenfalls mit hinein.

Frage: Und ein so komplexes Thema kann man in einen so schmalen Roman einarbeiten?

Robert Brack: Der Roman ist der Bericht der Protagonistin über ihre Ermittlungsarbeit in Hamburg und auf Pellworm. Jennifer Stevenson ist eine moderne Frau der 30er Jahre, sachlich, nüchtern, klar denkend und mit kriminalistischem Spürsinn ausgestattet. Sie schreibt keine Epos, sie erzählt ihr Abenteuer präzise und konzentriert.

Frage: Ein Abenteuer ist es in der Tat.

Robert Brack: Natürlich. Sie gerät in Gefahr, weil bestimmte Gruppen an einer Wahrheitsfindung nicht interessiert sind und darin eine Bedrohung sehen.

Frage: Sie verliebt sich auch.

Robert Brack: Wie das so ist, wenn man allein in der Fremde ist, man sucht Seelenverwandte. Und man wird auf sich selbst zurück geworfen. Neue Herausforderungen, Anregungen und Gefahren wecken neue Emotionen. Das ist die andere Seite dieses Buchs: Die nüchterne Miss Stevenson entdeckt plötzlich eine leidenschaftliche Seite in sich, von der sie noch nichts wusste.

Frage: Sie wird Kommunistin.

Robert Brack: Nein! Das wird sie nicht. Aber sie verwandelt sich. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was ihr während der Ermittlungen zustößt.

Frage: Nach den Lenina-Rabe-Krimis hat der männliche Autor Robert Brack hier schon wieder eine Frau als Ich-Erzählerin.

Robert Brack: Jede Geschichte wird von der Person erzählt, der sie gehört. Die menschlichen und politischen Hintergründe dieses Dramas konnten nur von einer Frau aufgedeckt werden. Es ist wie immer, wenn man sich an eine Geschichte setzt: Plötzlich steht die Hauptfigur vor einem und beginnt zu handeln.

Frage: Sonst gibt es dazu nichts zu sagen?

Robert Brack: Na ja ... Frauen sind einfach spannend.

Pellworm Friedhof
Gedenkstein für Strandleichen auf dem Friedhof von Pellworm

Pellworm Grab 1
Friedhof Pellworm, Grab 1

Pellworm Grab 1
Friedhof Pellworm, Grab 2

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