robert brack

aufgegriffen

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- Angeklagter, stehen Sie bitte auf!

- Jawohl, Fräulein.

- He, Moment! Wo wollen Sie denn hin?

- Sie haben doch gesagt, ich soll vortreten.

- Ich habe gesagt, Sie sollen aufstehen. Gehen Sie bitte wieder zu Ihrem Platz zurück.

- Jawohl, Fräulein äh ...

- Was soll das? Wollen Sie das Gericht beleidigen?

- Ich dachte nur, weil Sie noch so jung sind, und gar nicht mal so schlecht aus ...

- Reden Sie mich gefälligst mit dem gebührenden Respekt an, Angeklagter!

- Jawohl, Frau Richter. Ist es so richtig?

- Danke.

- Wie bitte?

- Ich sagte danke. Bleiben Sie bitte da stehen.

- Ich kann Sie so schlecht verstehen auf diese Entfernung.

- Zappeln Sie nicht so rum, Angeklagter. Und hören Sie mir endlich zu.

- Jawohl, Frau Richter.

- Ihr Name ist Max Jericho?

- Jawohl, Frau Richter.

- Hm. Wenn ich diese etwas verwirrenden Unterlagen richtig deute ...

- Entschuldigung!

- Was ist denn?

- Das sind nicht meine Unterlagen.

- Was soll das heißen?

- Mit diesen Zetteln da hab ich nichts zu tun.

- Können Sie mir das näher erläutern?

- Ich meine nur, also, ich hab doch überhaupt nichts ausgefüllt.

- Natürlich nicht! Das sind Unterlagen der Justizbehörde. Was wollen Sie denn da ausfüllen?

- Nein, nichts, ich meine ... ich hab schon gedacht, ich hätte irgendwas unterschrieben.

- Das sind amtliche Unterlagen, wenn Sie das beruhigt.

- Ja, doch, sehr.

- Gut. Können wir dann fortfahren?

- Wenn Sie mögen.

- Jetzt werden Sie bloß nicht frech!

- Entschuldigung, Sie haben mich doch gefragt.

- Bleiben Sie endlich ruhig stehen und beantworten Sie meine Fragen!

- Jawohl.

- Sie heißen Max Jericho ...

- Ja, das stimmt.

- ... sind zur Zeit wohnhaft in Hamburg.

- Das ist beides richtig.

- Wie bitte?

- Ich wohne in Hamburg und bin auch hier in Haft.

- Wollen Sie sich über mich lustig machen?

- Aber nein, warum denn?

- Reißen Sie sich zusammen und provozieren Sie nicht das Gericht! Sie wurden geboren am 23. Mai 1945 in Hamburg-Eimsbüttel und ...

- Verzeihung ... steht das wirklich da in Ihren Unterlagen?

- Möchten Sie eine Korrektur anbringen?

- Na ja, wenn´s da steht wird´s schon stimmen.

- Ich habe Sie gefragt, ob Sie etwas korrigieren möchten.

- Ja, nein, ich weiß nicht ... Ich wollte nur sagen, dass das nicht so ganz klar ist. Aber wenn´s da steht ...

- Was ist nicht ganz klar?

- Tja, hm, alles eigentlich.

- Hören Sie, Jericho, falls Sie versuchen wollen, dieses Verfahren schon von Beginn an zu verschleppen ...

- Tut mir leid, ich wollte nicht ... es ist nur so, da&ss das Datum vielleicht nicht ganz stimmt, weil meine Mutter keinen Kalender hatte, die ganze Stadt war doch kaputt, und deshalb wusste sie auch nicht so genau, wo das eigentlich war, wo ich geboren wurde, in irgendeinem Keller muss das gewesen sein, wahrscheinlich Eimsbüttel,  irgendwo an der Grenze zu Altona, ich weiß ja bis heute nicht, wo die Grenze überhaupt längsgeht und vielleicht hat sich das alles im Laufe der Zeit irgendwie verändert.

- Bitte beantworten Sie nur meine Fragen!

- Aber Sie haben mich doch gefragt.

- Kurz und knapp, wenn´s geht. Ich schlage vor, dass wir uns, was die Lebensdaten betrifft, an die offiziellen Unterlagen halten.

- Ich bin einverstanden.

- Na, das ist ja fein. Wären Sie dann auch so freundlich, wieder ein paar Schritte zurückzutreten? Ich weiß gar nicht, was Sie schon wieder hier vorne wollen.

- Ist es so besser?

- Danke.

- Entschuldigung, aber es ist nur Ihre Anziehungskraft.

- Bitte?

- Sollte ein Kompliment sein.

- Werden Sie nicht frech, sonst muss ich Sie verwarnen! Also, dann mal weiter im Text: Sie sind ledig und wohnen zur Zeit in der Bismarckstraße 94, sind arbeitslos und leben von der Sozialhilfe. Ist das richtig?

- Eigentlich nicht.

- Was soll denn das nun wieder heißen?

- Das mit dem arbeitslos stimmt schon, aber ich lebe nicht davon ... ich meine, ich lebe nicht von der Sozialhilfe.

- Hier steht, daß Sie seit fünf Jahren ununterbrochen Sozialhilfe beziehen.

- Das stimmt, aber ich lebe nicht davon. Weil es nämlich zu wenig ist.

- Arbeiten Sie noch nebenbei?

- Nein. Aber die Sache ist die, dass ich nämlich reich bin.

- Aha. Sind Sie sich da ganz sicher?

- Ja, ich weiß das ganz genau, aber niemand will es mir glauben, nicht mal meine Kumpels, obwohl ich denen andauernd was spendiere, Kaffee oder Schnaps oder mal ne Currywurst. Die glauben mir das trotzdem nicht.

- So so, und woher kommt Ihr sagenhafter Reichtum?

- Steht das denn nicht in Ihren Unterlagen?

- Beantworten Sie meine Frage.

- Na ja, ich hab im Lotto gewonnen.

- Viel?

- Ja, ich glaub schon.

- Und dennoch haben Sie Sozialhilfe bezogen?

- Ich musste sogar Müll sammeln im Park deswegen.

- Aber Sie wissen, dass Sie sich strafbar gemacht haben?

- Ich hab doch dafür gearbeitet.

- Sie hatten keinen Anspruch auf das Geld.

- Die haben mich doch gezwungen, es zu nehmen, weil mir keiner glauben wollte, dass ich im Lotto gewonnen hab.

- Ich fürchte, das wird noch ein Nachspiel haben.

- Sie müssen die Frau am Amt dafür bestrafen, ich kann nichts dafür. Vielleicht soll ich es einfach zurückbezahlen, ich hätte genug ...

- Hören Sie auf! Sie machen sich ja lächerlich. Und treten Sie zurück, sie sind mir schon wieder auf die Pelle gerückt. Danke. - Na gut, kommen wir also zum eigentlichen Sachverhalt: Sie wurden am 6. Dezember von einer Polizeistreife aufgegriffen, als Sie in schwer angetrunkenem Zustand versucht haben, zu Fuß die Köhlbrandbrücke zu überqueren. Die Brücke ist für Fußgänger gesperrt, das ist eine Schnellstraße. Wie sind Sie da überhaupt hingekommen?

- Das weiß ich nicht mehr.

- Aber wie Sie ausgesehen haben, wissen Sie noch?

- Ja, natürlich. Ich war als Nikolaus verkleidet.

- Laut Protokoll der Polizeistreife, die Sie aufgegriffen hat, trugen Sie einen roten Mantel mit weißem Pelzbesatz, eine rote Hose und schwarze kniehohe Stiefel. In der einen Hand hielten Sie eine rote Zipfelmütze, ebenfalls mit Pelzbesatz, und einen weißen Bart. Ein paar zum Kostüm gehörende Handschuhe haben Sie unterwegs fallen gelassen.

- Mir war furchtbar warm, deswegen hab ich meine Verkleidung abgenommen. Die Beamten haben mir die Handschuhe gebracht, das war sehr nett.

- Außerdem trugen Sie einen leeren Sack bei sich.

- Da sind die Geschenke für die Kinder drin gewesen.

- Und wo kamen diese Geschenke her?

- Der Mann, der mich engagiert hat, hat sie mir gegeben.

- Und die Walther PPK, die sie im Gürtel stecken hatten, haben Sie die auch von diesem Mann bekommen?

- Sie meinen die Pistole? Ja, natürlich.

- Und die wollten Sie von der Mitte der Brücke aus ins Wasser werfen. Das haben Sie jedenfalls den Beamten erzählt.

- Ich wollte die Waffe vernichten, aber dann hab ich gemerkt, dass mir schwindelig wurde. Also hab ich sie wieder in den Gürtel gesteckt.

- Die Waffe war noch nicht mal gesichert. Sie hätten sich verletzen können.

- Ich hätte mir beinahe in die Hose geschossen, Frau Richter.

- Als die Beamten Sie entdeckten, waren Sie laut Protokoll gerade im Begriff, über die Seitenbegrenzung zu steigen. Wieso wollten Sie sich von der Brücke stürzen? Sie hätten sich doch viel einfacher mit der Pistole umbringen können?

- Ich wollte mich gar nicht umbringen.

- Die Polizeibeamten haben ausgesagt, dass Sie die ganze Zeit von Schuld und Sühne und Vergebung gesprochen haben und davon, daß Sie Ihrem Leid ein Ende machen möchten.

- Hab ich das gesagt? Ich weiß gar nicht mehr so genau, wie das gewesen ist.

- Offenbar machten Sie einen verzweifelten Eindruck.

- Ja, das sagt man mir oft. Die Leute glauben immer, dass es mir schlecht geht. Dabei hab ich im Lotto gewonnen. Also warum soll ich mich beklagen?

- Aber obwohl Sie angeblich so sagenhaft reich sind, haben Sie diesen Auftrag angenommen?

- Das war ja nur wegen der Ehre.

- Aber Geld hat man auch bei Ihnen gefunden.

- Das war mein eigenes.

- 20.000 Mark in kleinen Scheinen.

- Das mach ich immer so, denn wenn ich mit großen Scheinen bezahle, denken die Leute, es wäre Falschgeld oder gestohlen.

- Gut, gehen wir mal davon aus, das stimmt, was Sie mir da erzählen. Dann haben Sie also aus lauter Ehrenhaftigkeit einen Mordauftrag angenommen?

- Jawohl.

- Was war das für ein Mann, der Ihnen den Auftrag erteilt hat?

- Einer, der bestimmt so reich ist wie ich. Aber mit Mercedes, Funktelefon und all dem Zeug.

- Wie haben Sie den Mann denn kennengelernt?

- Peter und Paul hat ihn angeschleppt.

- Haben.

- Bitte?

- Peter und Paul haben ihn angeschleppt. Das sind doch zwei ihrer Freunde.

- Nein, nein, das ist einer. Er heißt Peter-Paul Harbach. Wir sagen aber alle Peter und Paul zu ihm, weil das witzig ist.

- So, so. Und wo hat Ihr Freund den Mann aufgegabelt?

- Auf der Reeperbahn nachts um halb eins.

- Sie werden schon wieder frech!

- Es war aber so, wie ich gesagt habe.

- Na gut. Er bringt also diesen Mann zu Ihnen, weil er weiß, dass Sie genau der Richtige sind, seine Frau umzubringen.

- Genau.

- Wieso hat Ihr Freund eine solche schlechte Meinung von Ihnen?

- Er hat Vertrauen zu mir, er weiß, daß ich mal Amok gelaufen bin auf dem Rathausmarkt.

- Tatsächlich? Das ist ja interessant.

- Ich hab einen ganzen Schwarm Tauben erschossen und anschließend an einem Banküberfall teilgenommen. Deshalb wusste Peter und Paul, dass ich der richtige Mann für den Job bin.

- Aha. Der Mann hat Ihnen also Geld gegeben und Sie beauftragt, seine Frau zu töten?

- Nein, nein. Er hat mir kein Geld gegeben. Ich hab doch schon gesagt, dass es für die Ehre war.

- Und Ihr Freund? Hat der Geld genommen?

- Na ja, der Mann hat ihm ein Bier ausgegeben.

- Er hat Ihnen also den Auftrag gegeben und seine Adresse genannt.

- Ja, ich hab´s auf einen Zettel geschrieben. Ein Datum hat er auch genannt, den 6. Dezember, weil er da geschäftlich unterwegs war, im Ausland oder so.

- Und dann sind Sie als Nikolaus verkleidet hingegangen?

- Ja, er hat mir sogar Geschenke für seine Kinder mitgegeben.

- Kam Ihnen das nicht seltsam vor?

- Wieso? Es war doch Nikolaus.

- Aber er hat Sie doch zu einem Verbrechen angestiftet.

- Na klar, Peter und Paul fand das ganz stilecht, wie in diesen Gruselheftchen, die er immer liest.

- Er fand das also tatsächlich lustig?

- Ja, und ich auch. Obwohl ich mehr so ans Kino gedacht habe. Kennen Sie diesen Schauspieler? Arnold Schwarzenegger ... obwohl ich persönlich Van Damme besser finde, aber der ist ja mehr so´n Karate-Typ.

- Wie ging´s dann weiter? Sie sind mit dem Taxi nach Othmarschen gefahren, haben an der Tür der Villa geklingelt, und dann ...

- Ich hab das Taxi warten lassen. Die Kinder haben aufgemacht. Die wussten schon, dass ich komme. Also bin ich da reingestiefelt und hab die Geschenke verteilt. Das war unheimlich lustig, weil die sich echt gefreut haben. Hübsche Kinder, so´n ulkiger kleiner Junge und´n Mädchen mit Zahnlücke vorn. Er kriegte so ein Strahlengewehr für den Weltraum und das Mädchen so nen Schminkkoffer für Kinder. Das war toll, ich verschenke sonst ja eigentlich nie was ...

- Und dann ist die Frau gekommen?

- Ja, und dann ist alles schief gegangen ...

- Was ist passiert?

- Nix, garnix. Ich hab die Pistole überhaupt nicht aus dem Gürtel rausgekriegt.

- Haben Sie es versucht?

- Nee, das ging gar nicht. Es wär mir einfach peinlich gewesen, wissen Sie, wie ich sie so angeguckt habe, war einfach nichts mehr zu machen.

- Weil Sie plötzlich Schuldgefühle hatten?

- Nee, nee, das kam ja erst später. Es war einfach so, na ja, die war ja so jung und verdammt hübsch. Ich war praktisch wie vom Donner gerührt.

- Warum?

- Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ich glaub, Sie können das sowieso nicht verstehen ... Es ist nämlich so, wissen Sie, die Frau hatte so was ... Verdammt, ich weiß auch nicht! Haben Sie mal ne Blume gesehen? ... so ungefähr wie Sie ... nee, das können Sie gar nicht verstehen, was das für unsereinen bedeutet, für Sie ist das ja ganz normal ... aber ich kann so eine Schönheit doch nicht umbringen, verstehen Sie ... ich konnte die Frau nicht töten, genauso wenig, wie ich das bei Ihnen könnte ... Entschuldigung, war nicht so gemeint ...

- Nun, äh, dann ... dann sind Sie weggegangen?

- Ich hab erst noch ein bißchen mit den Kindern rumgealbert und dann bin ich wieder abgehauen. Anschließend hab ich mir ne Pulle Schnaps genehmigt. Aber wie ich auf die Brücke raufgekommen bin, weiß ich nicht mehr, ehrlich. Eigentlich hätte ich die Pistole ja auch woanders wegschmeißen können.

- Sind Sie sicher, daß Sie sich nicht schuldig gefühlt haben und doch von dort oben herunterspringen wollten?

- Na ja, ich war total hinüber. Und das mit der Schuld ist vielleicht gar nicht so verkehrt ... ich meine, ich habe ja echt versagt.

- Moralisch, meinen Sie?

- Ja, klar. Schließlich hat mir mein Kumpel diesen Job besorgt. Und ich hab alles vermasselt. Ich frag mich, ob der überhaupt noch mal mit mir redet.

- Angeklagter setzen Sie sich! Die Verhandlung wird bis nach Weihnachten vertagt!

- Ende -

"aufgegriffen" Copyright 1993 by Robert Brack, Hamburg, erschienen in: Bloody Christmas 2, Rowohlt Taschenbuch Verlag 1994

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