Die Ehre der Nicolisi

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die ehre der nicolisi

Der Roman erschien im September 2010 im Heyne Verlag.
384 Seiten, 8,95 Euro, ISBN 978-3-453-40514-1
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16.

Die Einrichtung der Polizeiwache war deprimierend. Von außen sah das Haus ja ganz hübsch aus, mit seinen Klinkern, den altmodischen Fenstern und der Uhr, aber innen waren die Wände grau und die Möbel alt und ramponiert. Wenn man gesehen hatte, unter welchen schäbigen Bedingungen die Beamten arbeiten mussten, konnte man Mitleid mit ihnen bekommen. Und verstehen, warum sie oft so schlecht gelaunt waren. Bruno musste auf einer Bank vor dem hohen Tresen warten. Die Wände in diesem Vorraum waren zerkratzt und es hingen ein paar verblichene Bilder an den Wänden, auf denen Szenen aus dem alten St. Pauli zu sehen waren.

»Tag, Herr Nicolosi.«
Es war immerhin der Revierleiter, der ihn hereinbat und hinter dem Tresen in ein schmuckloses Verhörzimmer führte, wo schon ein zweiter Beamter an einer Schreibmaschine wartete. Ein kleiner Tisch, zwei Stühle, sie setzten sich. Der Protokollant zog ein Formblatt ein. Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Nationalität, Bruno zeigte seine Papiere inklusive Aufenthaltsgenehmigung, längst alles ganz legal und auch in den Unterlagen der zuständigen Behörden absolut korrekt vermerkt, dafür hatte Helnwinkel gesorgt.

»Sind Sie öfter in Italien?«
»Eigentlich nie.«
»Haben Sie nie daran gedacht, einmal die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen?«
»Nein.«
»Sie sind doch schon so lange hier. Und als Geschäftsmann«
»Ja, ich weiß.«
»Aber das ist jetzt ja gar nicht unser Thema«, fuhr der Beamte fort. »Es geht um« Er hielt inne, schaute auf seinen Notizzettel, den er in der Hand hielt und fragte dann: »Wieso haben Sie eigentlich keine Anzeige erstattet?«
»Was für eine Anzeige?«
»Nun ja, es gäbe doch einige Möglichkeiten. Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Beleidigung und so weiter.«
»Gegen wen?«
»Ja, da haben Sie Recht, Herr Nicolosi, das ist die Frage. Die müssten Sie doch eigentlich beantworten können.«
»Tut mir leid. Ich habe keine Ahnung.«
»Aha.« Der Revierleiter seufzte. Der protokollierende Beamte tippte eifrig alles Gesagte in die Maschine. Es war ziemlich laut.
»Gegen irgendwelche Rowdys vielleicht?«, schlug Bruno vor.
»Aber Sie wissen doch, wer ihr Lokal angegriffen hat.«
»Betrunkene Rowdys.«
»Doch nicht irgendwelche Betrunkenen. Das war doch geplant.«
»Ob es geplant war, kann ich nicht wissen.«
»Sie kannten doch die Leute. Sie wussten sogar schon vorher, dass sie kommen würden.«
»Aber ich kenne doch keine Rocker.«
»Na, sehen Sie, Herr Nicolosi, jetzt wissen wir immerhin schon, dass es sich um Rocker gehandelt hat.«
»Das ist doch nur ein Wort. Rocker oder Rowdys.«
»Es macht schon einen Unterschied. Rowdys rotten sich spontan zusammen, Rocker gründen eine Bande.«
»So gut ist mein Deutsch nicht, dass ich solche Feinheiten verstehe.« »Es war auch nicht irgendeine Rockerbande.«
»Irgendeine, das ist auch so ein unbestimmtes deutsches Wort.«
»Jetzt stellen Sie sich doch nicht dumm, Herr Nicolosi! Es waren die Hell's Angels, die ihr Restaurant zertrümmert haben, das wissen Sie doch ganz genau.«
»Ja, das könnte natürlich sein.«
»Sie müssen die doch kennen, die haben den halben Kiez im Schwitzkasten.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie erpressen Schutzgelder, sie sind Zuhälter, sie versuchen anderen organisierten Gruppen das Wasser abzugraben.« »Wenn es so eine Bande war und Sie wissen es, warum verhaften Sie sie dann nicht?«
»Wir brauchen Zeugen. Sie zum Beispiel.«
»Was soll ich bezeugen?«
»Dass ihr Lokal angegriffen wurde, weil diese Bande, also die Hell's Angels Schutzgelder von Ihnen erpressen wollte.«
»Wollten Sie das?«
»Das müssen Sie doch wissen!«
»Ich habe nie mit diesen Leuten geredet. Schutzgelder haben wir noch nie gezahlt, das kennen wir gar nicht. Würden wir auch nicht tun.«
»Aha, und warum?«
»Die Frage hat sich doch nie gestellt.«
Der Revierleiter seufzte. »Sie hatten es nicht nötig.«
»Genau, hatten wir nie.«
»Natürlich ging es nicht um Schutzgelder.«
»Nein.«
»Sondern?« »Was meinen Sie jetzt?«
»Um was ging es in Wirklichkeit?«
»Ich kann das nur vermuten, Herr Kommissar.«
»Und zwar?«
»Diese Rocker, wie Sie sie nennen, sind gegen uns Italiener. Das haben sie ja auch gesagt. Eigentlich haben sie es geschrien.«
»Was?«
»Muss ich das wiederholen?«
»Das wäre hilfreich.«
»Sie haben geschrien: ›Spaghetti-Schwuchteln raus, der Kiez gehört uns!‹«
»Und was war damit gemeint?«
»Wir sollen nach Italien zurück.«
»Sonst nichts?«
»Was denn noch?«
»Der Kiez gehört uns - das deutet doch auf einen gewissen Machtanspruch hin. Sie wollen sich etwas aneignen.«
»Das kann sein. Ich kann mir auch schon denken, was.«
»Jetzt bin ich aber gespannt.«
»In den meisten Fällen, wenn jemand unangenehm wird, geht es um Geld.«
»Aha, die wollten also Geld von Ihnen?«
»Nein, das weiß ich nicht. Ich kann es ja nicht wissen, weil sie nichts gesagt haben.«
»Womit verdient man hier auf St. Pauli das meiste Geld?«
»In der Gastronomie natürlich.«
»Wirklich? Sie verdienen Ihr Geld doch nicht mit der Trattoria.«
»Ich habe auch zwei Immobilienfirmen. Das Restaurant haben wir mehr so aus Tradition. Damit fing alles an. Tatsächlich wirft es nicht so viel ab, aber das macht nichts.«
»Es wirft nicht viel ab im Vergleich zu Ihren anderen Geschäften, aber es läuft doch sehr gut wie man hört, es ist jeden Abend voll.«
»Ja, und das erklärt auch, warum diese Bande uns überfallen hat. Sie wollen das Lokal haben. Weil die wissen, es läuft gut.«
»Eine Rockerbande als Spaghettikocher?«
»Jetzt sind Sie aber ungerecht, Herr Kommissar. Sie haben doch schon sehr gut bei uns gegessen, und nicht nur Nudeln.«
»Ich bitte um Entschuldigung, aber das einzige, was diese Typen können ist Bierflaschen öffnen. Die wollen doch kein Restaurant betreiben, das wäre ja Arbeit.«
»Ich hoffe, das haben sie nun eingesehen.«
»Die haben also Ihr Lokal zertrümmert, aber Sie haben keine Anzeige erstattet. Man kann auch Anzeige gegen Unbekannt erstatten, das wissen Sie doch, Herr Nicolosi?«
»Ja, aber die Schäden waren nicht so schlimm. Sie sind ja sehr schnell wieder abgezogen.«
»Das ist in der Tat das Erstaunlichste. Die kamen offenbar in der Absicht alles kurz und klein zu schlagen, dann fangen sie an und auf einmal sind sie wieder weg.«
»Vielleicht haben sie Angst bekommen.«
»Vor Ihren Leuten?«
»Was meinen Sie mit meinen Leuten?«
»Die Beschäftigten des Lokals und die anderen.«
»Wir haben drei Kellner, einen Chefkoch, zwei Köche, zwei Küchenhilfen und einen Spüler, außerdem noch eine Frau am Tresen, aber die war nicht da.«
»Und die anderen?«
»Sonst war nur ich da und mein Prokurist, Rosario. Wir wollten etwas Geschäftliches Besprechen.«
»Und Ihre Schwester?«
»Wer?«
»Claudia.«
»Ach so, die war nicht da. Ich weiß nicht wo sie sich aufgehalten hat. Da müssen Sie sie wohl selbst fragen.«
»Und der Junge?«
»Welcher Junge?«
»Der, von dem es immer heißt, er sei so eine Art Leibwächter.«
»Ich habe keinen Leibwächter. Wozu denn?«
»Nicht Sie, Ihre Schwester.«
»Sie hat einen Leibwächter?«
»Das frage ich Sie!«
»Ich weiß von keinem Leibwächter.«
»Wer ist er denn dann?«
»Wen meinen Sie denn überhaupt?«
»Den jungen Kerl, der immer mit ihr zusammen ist.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, das geht mich doch auch nichts an. Sie führt ihr eigenes Leben, das ist ihr gutes Recht.«
»Der Junge soll ziemlich gefährlich sein.«
»Wieso denn das?«
»Es heißt, er kann gut schießen.«
»Schießen?«
»Mit einer Pistole. Er kann sehr gut mit einer Pistole umgehen.«
»Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Ich denke, Sie kennen ihn nicht?«
»Aber ich kenne Claudia, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemanden um sich hat, der eine Pistole bei sich trägt.«
»Sie soll auch eine haben.«
»Also jetzt reden Sie aber Unsinn, Herr Kommissar. Dazu müsste Sie doch einen Waffenschein haben!«
»Ganz genau.«
»Davon weiß ich aber nichts.«
»Eben.«
»Wollen Sie etwa Zwietracht sähen in unserer Familie?«
»Mich interessiert nur, woher die Schussverletzungen bei den Rockern kamen. Fünf von den Hell's Angels ließen sich nach dem Angriff auf ihr Lokal im Hafenkrankenhaus behandeln.«
»Wurde denn auf sie geschossen?«
»Das wollte ich damit sagen.«
»Dann haben die doch bestimmt sagen können, wer auf sie geschossen hat.«
Der Kommissar schwieg.
»Sie wollen doch damit nicht etwa sagen, dass diese Schlägerbande uns beschuldigt hat, auf sie geschossen zu haben?«
»Ich sage gar nichts.«
»Aber das wäre eine unglaubliche Frechheit. Diese Kerle sind doch auf uns losgegangen.«
»Und dann mussten sie die Beine in die Hand nehmen, weil auf sie geschossen wurde.«
»Ich habe keine Schüsse gehört.«
»Wir haben eins ihrer Motorräder sichergestellt. Es hatte Einschusslöcher. Es war umgekippt und lag kurz nach der Auseinandersetzung noch auf der Straße, direkt vor ihrem Lokal. Wir haben auch Patronenhülsen gefunden, Kaliber 9 mm und 6,35 mm.«
»Auf der Straße?«
»Nicht nur.«
»Also man hört ja immer wieder von Schießereien in der letzten Zeit. Das beunruhigt uns natürlich genauso wie die anderen Gastronomen auf St. Pauli. Der Kiez hat einen schlechten Ruf bekommen, das ist gar nicht gut fürs Geschäft. Wir haben wirklich kein Interesse an so was, das müssen Sie mir glauben.«
»Die Beamten, die nach der Schießerei zum Tatort kamen, fanden auch Patronenhülsen in Ihrem Lokal. Von dort muss also geschossen worden sein.«
»Von drinnen nach draußen? Aber dann wären doch die Scheiben zu Bruch gegangen!«
Der Kommissar seufzte und sah zu seinem Protokollanten hin, der eifrig weitertippte. »So war es also nicht.«
»Nein.«
»Wie denn?«
»Von Schüssen weiß ich gar nichts.«
»Wie haben Sie die Rocker denn wieder aus dem Lokal gekriegt?«
»Die bekamen Angst und sind dann gegangen.«
»Sie bekamen Angst?«
»Ja, offenbar.«
»Das habe ich ja noch nie gehört, dass die Hell's Angels Angst kriegen und weglaufen.«
»Ja, es ist wirklich eigenartig.«
»Wir haben mit Zeugen gesprochen. Nachbarn, Passanten. Die haben uns erzählt, die Rocker seien von einer Übermacht angegriffen worden, vermummte Gestalten mit Knüppeln, Messern und Pistolen. Die Rocker hätten versucht, in das Lokal zu flüchten und es seien Schüsse auf der Straße und im Lokal gefallen.«
»An Schüsse kann ich mich nicht erinnern.«
»Jemand äußerte die Vermutung, dass es ein Krieg zwischen konkurrierenden Dealerbanden gewesen sein könnte.«
»Aber nein, das waren Nachbarn, die uns schützen wollten. Das waren keine Drogenhändler, sondern anständige Leute. Die kamen angelaufen und da haben die Rocker Angst bekommen und sind getürmt. So muss es wohl gewesen sein.«
Der Revierleiter blickte auf seinen Notizzettel. »Die Nachbarn, die wir gesprochen haben, beschrieben es ›als gezielten Einsatz eines bewaffneten Stoßtrupps‹.«
»Zeugen übertreiben oft, um sich wichtig zu machen.«
»Wenn man es aber anders betrachtet, wirkt das Ganze so, als habe jemand den Hell's Angels eine Falle gestellt.«
»Ich weiß ja nicht, was Sie glauben, was wir für Nachbarn haben, Herr Kommissar. Es sind alles ganz normale Leute. Warum sollten die auf so eine verrückte Idee kommen?«
»Das meine ich ja. Wessen Idee war es denn?«
»Es war nur eine Schlägerei. Man sollte nicht so viel Aufheben darüber machen. So was kommt auf dem Kiez doch immer mal vor. Aber Sie haben mich auf einen Gedanken gebracht.«
»So, auf welchen denn?«
»Ich muss mich noch bei den Nachbarn bedanken, die so nett waren, uns zu helfen.«
»Das haben Sie doch sicher schon getan, Herr Nicolosi. Und nicht zu knapp.«
»Nein, noch nicht. Wir werden sie alle zu einem Essen einladen. Das wird ihnen gefallen. Nachbarn sollten ab und zu zusammen feiern. Das tun die Leute hier in Hamburg viel zu selten.«
»Sie haben wirklich ein gutes Herz.«, stellte der Revierleiter fest.« Aber was mich wundert, ist, woher Sie wussten, dass die Rocker Sie überfallen würden.«
»Aber das wussten wir doch gar nicht!«
»So?«
»Ja, das können Sie sich doch denken.«
»Wie das?«
»Wenn wir es gewusst hätten, dann hätten wir doch die Polizei um Hilfe gebeten.«
»Nun gut.« Der Revierleiter stand auf. »Lassen wir es dabei bewenden. Sie unterschreiben bitte das Protokoll, Herr Nicolosi. Falls Ihnen noch was einfallen sollte - wir sind vierundzwanzig Stunden am Tag erreichbar. Einstweilen bedanke ich mich für Ihre Auskunftsfreude. Der Kollege bringt Sie dann nach draußen.«
»Ich danke Ihnen, Herr Kommissar

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