unter uns [teil 2]

robert brack und virginia doyle
im gespräch über helden

Brack: Ich mag keine Helden.

Doyle: Na, das ist jetzt aber gelogen.

Brack: Ich habe immer gesagt, dass ich Helden ablehne.

Doyle: Das mag ja sein, aber in der Praxis stimmt es nicht. In deinen Büchern tauchen jede Menge Helden auf.

Brack: Im Gegenteil! Von Anfang an habe ich versucht, das Heldentum zu sabotieren. Wenn ich in Versuchung kam, einem Protagonisten allzu freundliche Züge zuzuschreiben, habe ich es bewusst verhindert. Nehmen wir nur die Polnische Trilogie: Die Helden sind ein Antiquar, der mit Pornos dealt; ein Polizist, der einem diktatorischen Regime dient; und ein halbseniler Anarchist, der in einer Revoluzzer-Traumwelt lebt.

Doyle: Alle drei sind liebenswerte Personen mit allzu menschlichen Charakterzügen.

Brack: Die Tolonen-Bücher handeln von einem Journalisten, der sich auf geradezu lächerliche Weise bemüht, die große Sensationsstory zu finden, zusammen mit einem Kollegen, der nichts weiter kann als große Sprüche zu bringen.

Doyle: Bei diesem Tolonen handelt es sich in der Tat um einen merkwürdigen Menschen, einen widersprüchlichen Charakter. Er will unbedingt die große und wahre Story an Land ziehen, aber im letzten Moment nimmt er lieber das große Geld an und lässt die Story auf sich beruhen. Eigenartig.

Brack: Nur im letzten Buch lehnt er es aus weltanschaulichen Gründen ab, sich korrumpieren zu lassen, und geht in den Knast, weil er nicht mit Rechtsradikalen kooperieren kann.

Doyle: Na, bitte. Also doch ein Mann mit Prinzipien im ganz altmodischen Sinne. Nur dass es bei ihm, wie bei den meisten Menschen übrigens, eine ganze Weile dauert, bis er merkt, dass er eine Moral hat. Das unterscheidet ihn natürlich von einem in ethischer Hinsicht deutlicher gezeichneten Protagonisten wie Philip Marlowe.

Brack: Ach Gott, Marlowe. Neulich las ich mal wieder einen Chandler-Roman "The Long Goodbye" ...

Doyle: Sein reifstes Werk.

Brack: Mag sein. Grundsätzlich ist es auch gut geschrieben. Nur die Hauptfigur war mir unsympathisch.

Doyle: Womöglich weil er ein Held ist?

Brack: Nein, gar nicht. Ich bin da inzwischen toleranter geworden. Ich ertrage Helden, wenn sie einen Grund haben heldenhaft zu handeln. Was mir an diesem Marlowe nicht gefällt, abgesehen, davon, dass er wie ein Frührentner seinen Tag mit Schachspielen und Pfeiferauchen verbummelt ...

Doyle: Na, na, na, er ist nun mal das Produkt einer anderen Zeit.

Brack: Eben, das Produkt einer Zeit, in der man mit seiner Weltanschauung hausieren ging. Und das macht dieser gescheiterte Heilsarmist auf geradezu penetrante Weise. Er geht rum und reibt jedem, der ihn nicht danach gefragt hat, seine moralinsauren Ansichten unter die Nase und reagiert total unflexibel auf jede Herausforderung, diese Position mal zu überdenken.

Doyle: Aha, da haben wir ein interessantes Brack-Statement: Ein Held sollte in der Lage sein, seine Position zu überdenken.

Brack: Und sich der Fragwürdigkeit des eigenen Handelns bewusst werden.

Doyle: Genau das tut Philip Marlowe doch ständig.

Brack: Es kommt auf das Wie an: Er geht mit seiner Moral hausieren, und fühlt sich bestätigt, wenn jemand ihm wegen dieses Geschwätzes eins aufs Maul haut. Eine seltsame Art des philosophischen Masochismus.

Doyle: Mir schein, darin ähnelt er deinem Tolonen.

Brack: Aus diesem Grund hab ich mit ihm auch nicht weiter arbeiten können. Mir gehen diese gescheiterten Existenzen um die 40 auf die Nerven.

Doyle: Weil du jetzt selbst in diesem Alter ...

Brack: Quatsch! Weil sie so unflexibel sind, kaum noch lernfähig.

Doyle: Deshalb also Lenina.

Robert Brack

Brack: Genau. Lenina ist meine Antwort auf Philip Marlowe und seine Nachfolger in den Krimis aller Länder bis auf den heutigen Tag. Weg mit den alten Knackern und ihrem verschnarchten Allzweck-Existenzialismus! Weg mit den alkoholisierten, übergewichtigen Detektivinnen, die den Frauenkrimi übervölkern. Ich will eine frische Heldin!

Doyle: Hoppla! Jetzt ist es raus.

Brack: Was?

Doyle: Gebt mir eine Heldin!

Brack: Ja, eben, eine Heldin, keinen Helden.

Doyle: Aha, die Zukunft ist weiblich. Sieh mal an! Brack als Feminist.

Brack: Mir ging es darum frischen Wind ins Genre des Detektivromans zu pusten. Ich glaube mit "Lenina kämpft" ist mir das gelungen.

Doyle: Durchaus. Nun warten wir alle auf eine Fortsetzung.

Brack: Kommt eines Tages.

Doyle: Wird Lenina altern? Marlowe hat ja während der zwanzig Jahre des Schaffens seines Schöpfers nur drei oder vier Jahre zugelegt.

Brack: Ich denke, sie wird einen Schritt nach vorn machen in ihrer Biographie. Warum sonst sollte ich ihre Geschichte weiterschreiben?

Doyle: Ich bin gespannt.

Brack: Du hast mich ein bisschen kopiert.

Doyle: Wie bitte?

Brack: In dieser Erzählung über den "Mord im Star-Club". Da tritt auch eine junge Heldin auf, diese Bassistin, die sich in John Lennon verliebt hat. Sie ist achtzehn.

Doyle: Nun ja, ich war auch mal jung ...

Brack: Und Bassistin?

Doyle: Klavier. Keyboards, wie man heute sagt. Mein Vater hatte ein Harmonium in der Scheune, darauf konnte ich Nico imitieren.

Brack: Oh, hattest du eine schwere Jugend?

Doyle: Jede Jugend ist schwer, ich glaube, darin sind wir uns einig.

Brack: Sprechen wir mal von deinem Serienhelden. Jacques Pistoux ist ja ein seltsam undurchsichtiger Charakter. Mehr ein Skizze, habe ich manchmal das Gefühl.

Doyle: Wenn man eine Figur über längere Zeit hindurch benutzen will, muss man in ihrem Wesen einiges offen lassen, sonst ist sie zu schnell ausgeschrieben. Dennoch finde ich es ungerecht, ihn einen undurchsichtigen Charakter zu nennen.

Brack: Ich bin nie ganz schlau aus ihm geworden, meine ich.

Robert Brack

Doyle: Das ist doch ein gutes Zeichen. Er ist eben ein Mann mit Geheimnissen. Das macht ihn interessant. Dennoch hat er in manchen Dingen eine eindeutige Position: Er ist auf geradezu kämpferische Art Republikaner, fühlt sich dem Volk zugehörig, ist der Obrigkeit gegenüber sehr kritisch und hast nichts so sehr wie Ungerechtigkeiten.

Brack: Ein Sozialist also. Wenn auch kein politischer Kämpfer.

Doyle: Dazu ist er zu eigenbrötlerisch veranlagt. Aber er bleibt beharrlich, wenn es darum geht die Rechte und die Freiheit des Einzelnen zu verteidigen.

Brack: Da wären wir wieder bei Philip Marlowe.

Doyle: Philip Marlowe konnte nicht kochen.

Brack: Trinken konnte er.

Doyle: Er hat mit Whisky herumgepantscht.

Brack: Höre ich da kritische Untertöne?

Doyle: Eier mit Speck und dazu einen Highball, ich bitte dich!

Brack: Bleiben wir mal lieber am eigenen Herd: Wieso stellt Virginia Doyle immer männliche Helden in den Vordergrund?

Doyle: Das ergibt sich aus den Zeitumständen. Weibliche Köche gab es nicht in den Restaurants und Hotels des 19. Jahrhunderts.

Brack: Aber wie ich höre wird es eine neue historische Serie geben, in Hamburg-St. Pauli angesiedelt, Anfang des 20. Jahrhunderts, mit einem Polizisten als Hauptfigur. Darf man den Titel des ersten Bands schon verrraten?

Doyle: Es wird eine Trilogie, die zwischen 1900 und 1945 angesiedelt ist, das erste Buch heißt "Die rote Katze". Im Mittelpunkt steht ein Mann, der in das Viertel zurückkehrt, in dem er aufgewachsen ist, um dort Kriminalbeamter zu werden.

Brack: Wieder ein männlicher Protagonist.

Doyle: Damals gab es keine weiblichen Polizisten.

Brack: Aha.

Doyle: Aber es gibt einige interessante weibliche Nebenfiguren.

Brack: Ein Polizist als Held?

Doyle: Ein gebrochener Held mit dunklen Seiten und Leidenschaften ... Schatten der Vergangenheit lasten auf ihm, ein Familiengeheimnis treibt ihn an ... aber ein korrekter Polizist ...

Brack: Ein guter Bulle?

Doyle: Ja, aber auch ein Mann, der mit den Frauen nicht zurecht kommt.

Brack: Ein Thema, das unser beider Werk geradezu leitmotivisch durchzieht.

Doyle: Interessant.

Brack: Wie gut, das wir uns persönlich so nahe stehen, dass wir in dieser Hinsicht nichts voneinander zu befürchten haben.

Doyle: In der Tat, mein Lieber.


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