nachtkommando

leseprobe

nachtkommando

Das Buch erschien im Frühjahr 1998 in der Edition Nautilus.
Hardcover 222 Seiten / ISBN 3-89401-287-0
Euro (D) 7,90 / sFr 14,60
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der anfang

Am Tag, als der nagelneue französische Fernsehsatellit "Jeanne d'Arc 1" fast unbemerkt direkt über der deutschen Hauptstadt explodierte, drehte ein rothaariges Mädchen auf dem Weißensee im Berliner Osten wohlkalkulierte Pirouetten.

Die Eisfläche auf dem Weißensee war von den Mitgliedern eines Amateur-Eishockeyvereins spiegelblank gefegt worden und für eine Kür bestens geeignet. Das Mädchen trug weiße Eislaufstiefel, eine schwarze enge Hose, einen rot-schwarz gemusterten Norweger-Pullover und weiße, wuschelige Ohrenschützer. Ihre Hände steckten in roten Fäustlingen, auf dem Rücken hatte sie einen schwarzen Lederrucksack, in dem sich ihre Wildlederboots befanden.

Auf dem Weißensee waren an diesem frostigen Werktag nicht übermäßig viele Schlittschuhläufer unterwegs, und so hatte sich die Eisläuferin eine eigene Ecke sichern können. Sie ging ihr ganzes Repertoire durch, fuhr Bogenachter, Schlangenbogen, Dreier und Schlinge und scheiterte an der Schlangenbogenschlinge. Sie stoppte, blickte misstrauisch zum Ufer und nahm erneut Anlauf, schaffte eine Standpirouette und fuhr dann einen eleganten Bogen, der eher dazu diente, Aufmerksamkeit zu erregen, und begann wieder von vorn.

Ein dicker Russe in einem monströsen Pelzmantel, der sich auf das Geländer des demolierten Freibads lehnte, beobachtete ihre Bewegungen durch einen Feldstecher. Er sah nicht so aus, als wäre er zu seinem Vergnügen hier. Sein ledriges, breites Gesicht hatte die Oberflächenstruktur eines missglückten Pfannkuchens. Der dünnlippige kleine Mund wirkte fehl am Platz. Auf seinem Kopf saß eine ausgeleierte Fellmütze.

Ein junger Mann kam die Uferböschung herunter. Er trug zu seinen japanischen Blue Jeans profillose Cowboystiefel und kam ziemlich ins Rutschen. Man konnte ihm ansehen, dass er fror, seine Wildlederjacke war nicht gefüttert. Er hatte außerdem vergessen, Handschuhe anzuziehen. Sie lagen noch in seinem uralten Peugeot 405, den er in der Indira-Gandhi-Straße nahe beim Friedhof geparkt hatte.

Der Russe bemerkte den jungen Mann erst, als er schon neben ihm stand, und zwinkerte ihm zu. Der junge Mann zuckte nervös mit den Schultern. Der Russe hielt ihm seinen Feldstecher hin.

"Sie ist eine Tänzerin", sagte er mit schwerem Akzent und wiegte den Feldstecher auffordernd in der Hand: "Hier, nehmen Sie ruhig."

Der junge Mann, der trotz seines Drei-Tage-Barts aussah wie ein Streber, blickte den Feldstecher in der breiten Hand ratlos an.

"Sie lieben die Frauen, stimmt's?" fragte der Russe. "Lassen Sie sich das nicht entgehen."

Der junge Mann zögerte. Der Russe hielt ihm den Feldstecher vors Gesicht.

"Woanders müssen Sie eine Menge Geld für so einen Anblick bezahlen." Er grinste schmierig.

Das rothaarige Mädchen glitt jetzt rückwärts über das Eis und warf den beiden Männern am Ufer einen gleichgültigen Blick zu ...

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