Unter dem Schatten des Todes

Robert Brack
Nachbemerkung über seinen Roman

Unter dem Schatten des Todes

Das Buch erschien im Februar 2012 in der Edition Nautilus.
223 Seiten, 13,90 Euro, ISBN 978-3-89401-752-1








Kriminalkommissar Dr. Braschwitz: Was hatten Sie für einen Gedanken und zu welchem Ergebnis kamen Sie, als Sie vor dem Reichstag standen?

Marinus van der Lubbe: Ich dachte mir, dass das die Vorderseite sein müsste, vor der ich stand.

Die Historiker haben den Reichstagsbrand nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, den Blick zu verändern. Bis heute sind weder die genauen Tatvorgänge, noch die wahren Hintergründe, noch die Täter definitiv bekannt. Und das obwohl der Brand als eines der folgenreichsten Verbrechen der deutschen Geschichte von zahlreichen Historikern genauestens in Augenschein genommen wurde. Alle bekannten Fakten wurden akribisch studiert, analysiert - und vor allem interpretiert. Je nach politischem Standpunkt oder Erkenntnisinteresse wurde gewertet und gewichtet.

Wer aus politischen und persönlichen Gründen die Nazis von einer Täterschaft oder Mittäterschaft freisprechen wollte, übersah eigenartige Ungereimtheiten und deutliche Lücken in den Aussagen des angeblichen Alleintäters und montierte die vorhandenen Bruchstücke zu einem teilweise unlogisch und falsch gebastelten Puzzle zusammen.
Anderen, die Beweise für eine Nazi-Verschwörung fanden, passten den Brandstifter in das Gesamtbild ein, ohne Rücksicht auf seine Persönlichkeit und seine Motive zu nehmen. Sie machten aus einem kämpferischen Antifaschisten und unbestechlichen Moralisten einen halb Debilen, der innerhalb weniger Tage zu seinen Feinden überlief und ihnen die Gelegenheit zur Machtübernahme bescherte, die zu verhindern er doch eigentlich nach Berlin gekommen war.

Es mag sein, dass Marinus van der Lubbe naiv war, aber er war viel zu intelligent, um sich in politischen Dingen an der Nase herumführen zu lassen. Es mag sein, dass er sich schlecht artikulieren konnte, aber er hatte ein fest gefügtes Weltbild im Kopf. Es mag sein, dass er ständig widersprüchliche Aussagen machte, aber nicht weil er verwirrt war, sondern weil er die Beamten, die ihn verhörten, verwirren wollte.
Im Nachhinein darf man sagen, dass ihm das gut gelungen ist. Sogar sämtliche Historiker, die sich mit ihm befassten, hat er blamiert.

Die nicht erfolgte Aufdeckung der wahren Zusammenhänge im Fall des Reichstagsbrandes könnte man auch als Folgeverbrechen werten. Studiert man die einschlägige Literatur - ungefähr fünfzehn Bücher zum Thema wurden in Deutschland publiziert - stellt man fest, dass die meisten Historiker sich weniger wissenschaftlich als literarisch betätigt haben. Jeder erzählt den Fall so wie er ihn gern hätte. Allen Abhandlungen, die zu eindeutigen Ergebnissen kommen, fehlen die schlüssigen Beweise.

Das beginnt mit den denunziatorischen Braunbüchern der Kommunisten und setzt sich fort bei Fritz Tobias' pseudowissenschaftlicher Lügentirade und Hans Mommsens intrigantem Abwürgen konkurrierender Meinungen und ist auch bei den Publikationen des Luxemburger Komitees und den erstaunlich militanten Entgegnungen darauf zu erkennen. Selbst neueren Abhandlungen, die alle Details abzuwägen vorgeben (Bahar/Kugel auf knapp 900 Seiten), gelingt es nur unter Zuhilfenahme großzügiger Interpretationen ein scheinbar klares Bild der Vorgänge und Hintergründe zu erzeugen.
Die meisten Darlegungen der angeblichen Fakten durch die Wissenschaftler basieren in den entscheidenden Punkten auf leicht anzweifelbare Indizien ohne echte Beweise. Und so sind sämtliche Theorien, wie vehement sie auch immer vorgetragen werden, bestenfalls Erklärungsversuche. Sämtliche Schilderungen der Ereignisse erweisen sich bei genauerer Betrachtung als Fiktionen. Und alle Historiker, die sich damit befasst haben, entlarven sich früher oder später als Geschichtenerzähler. In diesem Sinne darf der vorliegende Roman als ironischer Kommentar zum Schwelbrand des bis heute anhaltenden Historikerstreit verstanden werden. Und als Verteidigung eines jungen Mannes, der nicht nur vom Räderwerk der Geschichte zermalmt wurde, sondern auch ins Räderwerk der Geschichtsschreibung geraten ist.

Längst fällig war dieser Genre-Beitrag im Sinne einer "schwarzen Kolportage" ohnehin, denn erstaunlicherweise haben sich die deutschen Kriminalschriftsteller bei diesem Thema bislang zurück gehalten, es vermieden oder gar nicht in Betracht gezogen. Vielleicht weil sie den Zorn der Historiker fürchteten oder die hämischen Lachsalven des Feuilletons oder weil ihnen die Recherchen zu anstrengend erschienen.

Nun ist aus dem großen Fall doch noch ein kleiner Kriminalroman geworden. Wenn er etwas bezwecken soll, dann eventuell dies: Dass die Leser dem jungen Mann aus Holland etwas mehr Verständnis entgegen bringen. Denn darum ging es mir: Heraus zu finden, wer Marinus van der Lubbe war und was ihn dazu brachte in den Reichstag einzusteigen. Ansonsten lege ich Wert auf die Feststellung, dass meine neue Variante der Geschichtsschreibung keinen Deut unwahrscheinlicher ist als die Vorschläge der Wissenschaft hierzu.

R.B.

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