Die drei Leben des Feng Yun-Fat

leseprobe

Die drei Leben des Feng Yun-Fat

Das Buch erschien in der Edition Nautilus, 192 Seiten, 14,90 Euro









0.
Explosion.
Wie fühlt sich das an? Wenn man mitten drin ist?
Bedrohlich.
Klar.
Unbegreiflich. Beängstigend.
Logisch.

Zwei Druckwellen, die erste in der Luft, die zweite in deinem Kopf.
Zwei Erschütterungen. Die erste um dich herum, die andere ganz tief in dir drin.
Schlagartig bist du taub. Und spürst diesen Druck im Kopf, obwohl er eigentlich von außen kommt.
Sofort wird dir schlecht. Nein, nicht sofort. Erst ein bisschen später. Zuerst bist du starr vor Schreck, wobei das Wort Schreck wie ein Scherz klingt, es ist ja viel schlimmer. Panik passt besser. Und dann Todesangst. Du wirfst dich zu Boden (Nadine) oder in eine Ecke (Lenina) und hoffst, dass das alles nicht wahr ist. Stellst fest, dass es doch wahr ist und fängst an zu zittern, zu keuchen. Zu wimmern (Nadine) oder zu würgen (Lenina).

Bis dir ein Gedanke kommt: Vielleicht war das nicht alles? Vielleicht fliegt gleich noch so eine Ladung herein und geht hoch? Und zerfetzt diesmal nicht nur den Schreibtisch aus vielen Kilogramm schweren Holzplatten, sondern die anwesenden Personen.
"Raus hier! Schnell!"
"Ich kann nicht, ich kann nicht!"
"Los, hoch!"
Gesprochene, aber nicht gehörte Worte.
Lenina zerrt Nadine hoch. Sie knickt weg, ihre Beine versagen. Sie hängt an ihr wie ein Sack Kartoffeln. Lenina zerrt den Kartoffelsack durch die Rauch- und Staubschwaden. Beide müssen husten. Überall Trümmer und Schutt.
Es ist mörderisch.
Ja, genau.
Ein Mordanschlag.
Den Aufzug im Brandfall nicht benutzen.
Um sie herum, das bemerken sie jetzt, rennen Leute das Treppenhaus hinunter. Haben die auch was abgekriegt? Galt der Angriff vielleicht gar nicht ihnen? Haha. Träum weiter.

Der nette Dicke aus der Fotoagentur gegenüber hilft Lenina, Nadine die Treppe runterzuschleppen. Er ist bleich, gelblich bis grau im Gesicht. Um sie herum reden die Leute hektisch: Was war das? Was ist passiert? Gasexplosion? O Gott, ich hab meine Tasche oben vergessen! Mein Handy! Meine Jacke! Die Autoschlüssel! Das Smartphone!

Draußen setzen sie sich auf das Mäuerchen gegenüber oder auf eine der Bänke oder bleiben stehen. Schauen ängstlich die Backsteinwand hoch. Aus einem geborstenen Fenster dringen dünne Rauch- oder Staubschwaden. Hier und da zündet sich jemand eine Zigarette an. Einige tippen auf ihren Handys herum. Manche wählen 112 oder 110. Ist nicht mehr nötig, Blaulicht und Martinshorn nähern sich. Nadine macht sich los und geht mit unsicheren Schritten nach vorn bis zur Brüstung. Toller Blick auf die Elbe und den Hafen. Fähren und Barkassen tuckern vorbei. Ein Dreimaster mit weißen Segeln. Blauer Himmel, Sonnenschein.

Der perfekte Tag für einen Granatenangriff auf das Detektivbüro Rabe & Adler.

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