leseprobe
Schwarzer Oktober

Edition Nautilus, 160 Seiten, 18 Euro


IM KELLER
Sie haben mein Kellerloch verwüstet und meine Aufzeichnungen durcheinandergeworfen, mein Leben zerrissen. Die Tinte ausgekippt, den Federhalter zerbrochen. Mein Tagebuch ist zerfetzt wie meine Erinnerung.
Sie haben die Zimmertür eingeschlagen, dabei hätte ein kleiner Schubs genügt. Sie sind hereingetrampelt, haben die Kiste umgeworfen und mit gierigen Händen nach den Kladden gegriffen, die Seiten zerknickt, zerknüllt, zerrissen. Haben beiseite geworfen, was sie nicht brauchten, und was ihnen von Wert erschien in ihre Taschen gestopft (Nachbarn haben Männer in schweren Mänteln gesehen). Ihr Schweißgeruch hängt noch in der Luft.
Natürlich, das Wertvollste! Die Seiten mit den klingenden Namen, vibrierenden Sätzen, pulsierenden Worten. Die Seiten, die davon berichten, wie ich zum Leben erweckt und wieder getötet wurde. Die Seiten, die davon berichten, wie ich in dieses Kellerloch geriet, daraus befreit und wieder hineingestoßen wurde.
Aber ich will aufbegehren. Erinnerung bewahren. Worte bewahren, Namen bewahren. Wer weiß, wer eines Nachts vor der Tür steht? Sollte es geschehen, und sei es nur im Traum, will ich mich an ihre Namen erinnern: Selma, Paul, Ketty. Andere Namen will ich vergessen, verbannen wie die von Dämonen.
Es ist nämlich so, dass man Erinnerung tatsächlich beschmutzen kann, wenn man zulässt, dass jemand die Bilder mit Dreck bewirft. Da ist ein Wille in der Welt, der mit zerstörerischer Wut alles niederwalzt, was Leben und Freiheit und Glück bedeutet. Woher kommt er? Wer hat die Stiefel erfunden, die das Gras zertrampeln? Woher stammt dieser Geist der Vernichtung, dieser Dämon, der auch in den Schädeln der Unsrigen steckt? „Allesamt ein Noskiden-Pack! Auf beiden Seiten!“ Das hat Ketty gesagt, und ich habe sie nicht verstanden. Auch wenn ich nun weiß, was sie meint … es widerstrebt mir doch.
Trotzdem! Ich schreibe! Tunke die Feder ins Tintenfass. Ich werde die leeren Seiten füllen. Vielleicht verstehe ich dann alles besser. Vielleicht verstehe ich euch dann besser … Selma, Paul und Ketty … Ernst und Nosch … Maria … und was ich zu Papier bringe, schreibe ich mit leuchtenden Buchstaben in meine Erinnerung. Will es allen erzählen, denn nur Dämonen leben von Geheimnissen.
Ich gebe zu, ich bin vorsichtig geworden. Neben dem Tintenfass liegt der Revolver.


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